Vorabdruck aus dem Kufenflitzer No. 25 (Mai 2004)
Alle vier Jahre ist Olympia, immer ein absoluter Höhepunkt für die Sportler und für jeden olympischen Fachverband. Einfach “The same procedure” hieß es wieder nach Olympia in Salt Lake City, auf die Frage, wie der Weg nach Turin verlaufe, wieder ähnlich erfolgreich abschneiden zu können. Doch mit dieser einfachen Antwort ist es nicht getan, viele Situationen müssen gemeistert werden auf diesem zeitlich vier Jahre andauernden Weg. Erfahrung, gepaart mit Innovation und Kreativität, unterstützt durch einen optimal eingebundenem Betreuerstab sowie die Wissenschaft, das Ganze dem Sportler entsprechend einsichtig vermittelt und – Ach ja! – natürlich muss es auch noch finanzierbar sein. So etwa könnte man den Weg beschreiben oder (und das hat immer seine Gültigkeit) einfach “Ohne Schweiß kein Preis”. Das betrifft sowohl die Mühen der Athleten und Trainer im Einzelnen als auch im Allgemeinen die Förderung und vieles mehr durch unseren Verband mit all seinen wichtigen Partnern und Förderern wie Bundesinnenministerium, Bundeswehr, Bundesgrenzschutz, Deutscher Sportbund, NOK und Olympiastützpunkte, DKB und MIZUNO … Nun ist Halbzeit zwischen zwei Winterspielen, eine Gelegenheit zu einer kleinen Bilanz.
2002 hatte wir eine gute Ausgangsposition: sehr erfolgreiche Athleten, von denen unter Beachtung der kalendarischen, beruflichen und persönlichen Entwicklung bei allen eine weitere Perspektive bis 2006 möglich schien. Klar gibt es trotzdem Fluktuation: Gerade hat mit Frank Dittrich ein Spitzenläufer auf den Langstrecken das DESG-Schiff als Aktiver verlassen, dafür hat Gunda Niemann-Stirnemann in der abgelaufenen Saison eine gelungene Rückkehr in die Weltspitze vollzogen. Vor Verletzungen ist man nie gefeit, wie der jüngste Karriereverlauf von Sabine Völker oder Monique Garbrecht-Enfeld gezeigt hat. Aber es tut sich auch was in der nächsten Reihe hinter den Friesinger und Pechstein.
Natürlich geschieht das Halten der Weltspitze durch unsere Leistungsträger nicht im Selbstlauf. Doch darüber hinaus standen zwei Fragen immer wieder im Mittelpunkt unserer Anstrengungen. Die eine: Wie können wir junge Sportler bzw. Athleten aus der zweiten Reihe an die Weltspitze heranführen? Die andere: Wie holen wir die Männer aus dem Schatten der Damen heraus und verringern ihren Rückstand zur Weltspitze?
Was den Nachwuchs betrifft, muss man den Junioren ganz einfach Zeit geben, bei den Senioren in der Spitze Fuß zu fassen, mehr Zeit, als noch vor zehn oder zwanzig Jahren nötig war. Anni Friesinger war in dieser Beziehung sicherlich eine Ausnahmeerscheinung. In den zurückliegenden beiden Jahren haben sich mit Daniela Anschütz, Pamela Zoellner, Jenny Wolf, Lucille Opitz und Katrin Kalex Athleten in die erweiterte Weltspitze gelaufen, die man sicher nicht mehr als Nachwuchstalente bezeichnen kann. Daniela hat im Vorjahr ihre erste WM-Medaille gewonnen, Jenny in diesem Jahr eine WM-Medaille knapp verpasst, aber einen Weltcup gewonnen. Für sie sind Top-Ten-Platzierungen in der Weltspitze schon selbstverständlicher Maßstab. Jüngere Sportler, wie die bei JWM sehr erfolgreichen Marco Weber, Robert Lehmann, Heike Hartmann oder Judith Hesse, konnten schon hörbar an die Tür der Etablierten anklopfen, sie sind aber erst mit einem Bein über der Schwelle.
Wo bleiben die Männer? Die Frage mag manchmal unangenehm sein, aber natürlich ist sie berechtigt. Nur hin und wieder läuft ein Deutscher in die erste Liga dieser Welt, das sind für mich Top-Ten-Platzierungen, wo bei den Frauen regelmäßig auf fast jeder Strecke zwei bis vier Deutsche zu finden sind. Wir haben in der zurückliegenden Saison einen kleinen Schritt nach vor gemacht, sind aber natürlich noch nicht dort, wo wir hinwollen. Aber ich muss auch sagen, wir sind optimistisch. Wir arbeiten sehr konsequent in diesem Bereich. Bessere Trainingsanreize in homogenen Trainingsgruppen, Partnerschaften von Stützpunkten mit ähnlicher Leistungsausrichtung, ohne das der persönliche Zuschnitt auf einen Leistungsträger leidet, sind Schritte auf diesem Weg.
Neue Herausforderungen kommen auf uns zu mit dem Mannschaftslauf, der ja schon in Turin zum Olympiaprogramm gehören wird, und mit der möglichen künftigen WM-Disziplin 100 Meter. Gerade der Mannschaftslauf ist eine absolut reizvolle Herausforderung, auch gerade für die Männer, die beim Weltcup gezeigt haben, dass sie hier mit um eine Medaille laufen wollen. Hier freilich sind ganz andere Qualitäten gefragt als beim klassischen Eisschnelllauf. Man muss nicht nur einfach schnell laufen können, taktische Fähigkeiten wie Windschattenlaufen und Führungswechsel sind mindestens ebenso wichtig. Wir werden das verstärkt trainieren mit dem Ziel: drei Leute verkörpern eine Bewegung.
Noch ein Wort zum Shorttrack, wo die genannten Fähigkeiten quasi zum Standard gehören. Im Shorttrack sind wir in den zurückliegenden Jahren in kleinen Schritten, aber kontinuierlich vorangekommen. Diese sehr gute Entwicklung zeigt sich in diesem Jahr in zwei EM-Medaillen mit der Staffel und sehr guten Platzierungen von Aika Klein, Yvonne Kunze und Sebastian Praus. Die besten Junioren wie Tina Grassow und Paul Herrmann bringen starke Ergebnisse auch schon bei den Erwachsenen. Wenn diese Entwicklung anhält, wird diese Disziplin eines Tages vielleicht mehr in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses rücken – verdient haben es diese Sportler zweifellos.
Das Halbzeitfazit fällt insgesamt gut aus, mit Pontenzen zur Steigerung. Realistischer Optimismus ist angezeigt. Und dieser Optimismus wird uns auch weiterhin beflügeln in der “zweiten Halbzeit” bis zu dem Olympischen Winterspielen in Turin und danach wird wieder, möglicherweise, die gleiche Frage gestellt: Und was macht… – die DESG … – bis Vancouver 2010? Möglicherweise wird die Antwort wieder die gleiche sein oder so ähnlich.